Von der Wiege bis zur Bahre. Die Blumen für die dazugehörigen Feierlichkeiten gibt es bei Charly in Erbendorf. Und drei außergewöhnliche Bewohner verleihen seiner Blumenwerkstatt ein ganz besonderes Flair.
Es pfeift, es krächzt, es kreischt. Und das alles auch noch ziemlich laut. Die Quelle des eindringlichen Geschreis ist schnell gefunden: es sind drei Papageien, die exotische Dschungelatmosphäre verbreiten. Zwei von ihnen lugen misstrauisch aus ihrer Bruthöhle heraus, der dritte ist gerade dabei, sich mit bemerkenswerter Geschicklichkeit entlang eines Astes zu hangeln. Eineinhalb Meter unter ihm ein Meer von Blumen in allen Farben: Phlox, Amaryllis, Calla, Chrysanthemen, Strelitzien, Freesien, Gerbera, Hortensien, Lilien, Nelken, Ranunkeln und natürlich auch Rosen. Alles Schnittblumen, die in verschiedenen Gefäßen darauf warten, dass ein Kunde ihre Schönheit bemerkt und sie mit zu sich nach Hause nimmt. An einem massiven Holztisch in der Mitte des Raums steht Karl Beer. Zusammen mit seiner Frau Vroni und der Kollegin Heidrun Steiner, einer gelernten Floristin, ist er gerade dabei, für gleich mehrere Hochzeiten Blumenbouquets und die dazugehörige Tischdekoration vorzubereiten. Willkommen in Charlys Werkstatt!
In diesem Fall ist der Name wirklich Programm, handelt es sich bei den Verkaufsräumen doch um eine ehemalige KFZ-Werkstatt in Erbendorf mit vorgelagerter Tankstelle. „Unter unseren Füßen befindet sich die Wartungsgrube, in der früher die Schlosser Reparaturarbeiten ausgeführt haben.“ Und wie zum Beweis räumt Karl Beer, besser bekannt als Charly, eine kleine Stelle am Boden frei, der übersät ist mit Blättern und Stängeln, ganz so wie es sich für eine wirkliche Blumenwerkstatt gehört. Darunter kommen ausgetretene Holzbohlen zum Vorschein. „Den Blumenladen haben wir vor fünfzehn Jahren eröffnet. Eigentlich aus einer Laune heraus, ohne große Planung und auch ohne größere Vorkenntnisse. Und bei der Suche nach dem Namen mussten wir dann natürlich auch nicht lange suchen: „Die Werkstatt – Blumen und mehr.“
Die Schnittblumen bezieht Charly übrigens zum Großteil aus Ecuador. Es handelt sich dabei um zertifizierte Ware aus fairem Handel und ökologischem Anbau. Gerade in Deutschland gelten Blumen nach wie vor als beliebtes Geschenk für verschiedenste Anlässe. Doch wegen der hohen Nachfrage müssen ungefähr 80 Prozent der bei uns verkauften Schnittblumen aus dem Ausland importiert werden, zum überwiegenden Teil aus Afrika oder Südamerika. In den sogenannten Entwicklungsländern sind jedoch die Arbeitsbedingungen auf den Blumen- und Pflanzenfarmen sehr schlecht. Pflanzen von Unternehmen mit dem Fairtrade-Siegel werden hingegen nach klar definierten sozialen und ökologischen Standards gezüchtet. Im Klartext heißt das: keine Kinderarbeit, feste Arbeitsverträge für die überwiegend weiblichen Arbeiterinnen, Mutterschutz, klare Arbeitszeitregelungen und auch Schutzkleidung beim Umgang mit Chemikalien. Und diese Argumente geben für Charly den Ausschlag. „Ich kaufe grundsätzlich keine Billigblumen. Die Fairtrade-Ware ist natürlich etwas teurer. Aber für diese Qualität geben meine Kunden auch gerne etwas mehr aus.“
In diesem Moment fliegt einer der Papageien mit lautem Krächzen über die Köpfe der drei Blumenliebhaber hinweg und landet auf der Holzstange in der Mitte des Raums. Sofort beginnt er herumzuturnen: ein stattlicher Gelbbrustara, geschätzte 90 cm lang, das Gefieder auf der Oberseite türkis-blau, an der Brust und am Bauch goldgelb gefärbt, die Flügelunterseite gelb-grün. Eine durch und durch farbenprächtige Erscheinung, eine wirkliche Schönheit.
„Ich habe die Drei von einem Freund geschenkt bekommen. Das ist jetzt allerdings schon 25 Jahre her“, erklärt Charly. Die Papageien waren eine der Attraktionen bei der Eröffnung eines Gartencenters in unserer Gegend. Doch gestaltete es sich im Nachgang als sehr schwierig, für so laute und pflegeintensive Tiere einen Käufer zu finden. Auch weil sie viel Platz und Zuwendung benötigen und außerdem wirklich sehr laut werden können. „Die sind schlimmer als ein krähender Gockel oder Kirchenglocken“, sagt der 63-jährige und schüttelt dabei den Kopf. Probleme mit Nachbarn wegen Lärmbelästigung in Wohnsiedlungen seien somit vorprogrammiert. Und darum habe ihn ein Freund, der in besagtem Gartencenter beschäftigt war in dem Wissen angesprochen, dass Charly in einem alleinstehenden Haus wohnt. Er habe ihn gefragt, ob er sich nicht vorstellen könne, das Trio zu sich zu nehmen.
„Doch es war kein leichter Entschluss, ich habe nicht gleich ja gesagt. Diese Vögel sind ja eigentlich im Dschungel zu Hause und ich bin grundsätzlich gegen die Haltung solcher Tiere in Käfigen oder Volieren.“ Beer hält kurz inne. „Und dann ist das ja auch noch eine Entscheidung fürs Leben, immerhin können diese Papageien bis zu 100 Jahre alt werden.“ Doch schließlich gab sein Verantwortungsbewusstsein den Ausschlag und er nahm die Tiere zu sich.
Zeitgleich mit der Eröffnung seines Geschäfts erfolgte ihre Umsiedlung in die Blumenwerkstatt nach Erbendorf, wo sie sich augenscheinlich sehr wohl fühlen. Und zwar so wohl, dass sie seit drei Jahren immer wieder Brutversuche starten. Bisher allerdings ohne Erfolg. Ob bei dem aktuellen Versuch das Brüten zu einem Ergebnis geführt hat, weiß niemand ganz genau. „Denn während der Brutzeit gleicht das Nest der Papageien einem Hochsicherheitstrakt. Sie lassen niemand in die Nähe ihrer Höhle, da komm man nicht ran und ihre Verteidigungsstrategien sind wirklich ziemlich rabiat!“
Dann erfüllt ganz plötzlich ohrenbetäubendes Geschrei der drei Vögel den Raum. Das nächste Problem, so erklärt Charly. Gelbbrustaras zeigen nämlich ausgeprägtes Paarverhalten. Haben sich zwei Partner gefunden, bleiben diese lebenslang zusammen. In der Blumenwerkstatt gibt es aber drei Papageien, zwei Weibchen und ein Männchen oder anders ausgedrückt: ein Pärchen und ein einzelnes Weibchen, das mit seiner Außenseiterrolle verständlicherweise äußerst unzufrieden ist und daher immer ein bisschen Unfrieden stiftet. Es gilt wohl auch bei Papageien: Drei sind einer zu viel.
Bleibt noch die Frage nach dem etwas geheimnisvollen „Blumen und mehr“ auf dem Ladenschild. Doch auch die wird sogleich beantwortet. „Es kann schon mal eine halbe Stunde vergehen, bis ich einen Blumenstrauß nach den Wünschen eines Kunden fertiggebunden habe. Und in dieser Zeit kommt man eben ins Gespräch. Über Gott und die Welt.“ Er hält kurz inne. „Und hin und wieder vertrauen mir die Kunden dabei auch sehr persönliche Dinge an, die ich übrigens ganz schnell wieder vergesse. Manche tragen eine Last und es tut ihnen einfach gut, darüber zu sprechen und einen aufmerksamen Zuhörer zu haben.“ An der Kasse im Discounter fänden sie dafür kein offenes Ohr. Naja, und eben diese Möglichkeit zum Austausch und zum Gespräch verstecke sich hinter besagtem „…und mehr“-Zusatz auf seinem Ladenschild. Die Zeit für solche Gespräche nehme er sich natürlich sehr gerne, erklärt er, während ganz nebenbei unter seinen Händen ein Kunstwerk aus Blättern, Blüten, Zweigen, Beeren, Blumen und Gräsern entsteht.
Von Beruf ist Charly Beer übrigens Diplom-Betriebswirt. Doch schon vor dreißig Jahren stellten er und seine Frau die klassische Rollenverteilung „Die Mutter sorgt für das Kind, der Vater geht arbeiten“ auf den Kopf. Für damals eine kleine Revolution, die gerade auf dem Land oft für Kopfschütteln sorgte. Vor der Eröffnung seiner Blumenwerkstatt war er über zwanzig Jahre lang Hausmann und Vater und erlebte dabei intensiv, wie seine beiden Töchter aufwuchsen. Während dieses Zeitraums pflegte er aber auch drei nahe Angehörige und begleitete sie auf ihrem letzten Weg. Und bis heute führt er ein Leben ohne Handy und ohne E-Mail-Account. Weil ihm, so sagt er, der persönliche Kontakt mit den Menschen sehr wichtig sei. Obwohl er sich mit dieser Einstellung schon manchmal wie ein Steinzeitmensch vorkomme.
Charly von Charlys Werkstatt. In gewisser Weise schon ein Exot. Fast ein bisschen so wie seine drei gefiederten Freunde.
Veröffentlichung: „Der neue Tag“/09.09.2019