Herzlichen Glückwunsch, es sind Zwillinge (2/3)

In Charlys Blumenwerkstatt ist es in den letzten Wochen noch ein Stück bunter und lauter geworden. Grund dafür sind allerdings nicht die Kunden oder die erhöhte Nachfrage an Pflanzschalen und Gestecken für Allerheiligen.

Wenn in Deutschland ein Baby zur Welt kommt, dann muss das Kind innerhalb einer Woche nach der Geburt durch einen sorgeberechtigten Elternteil beim Standesamt angemeldet werden. Charly Beers eigene Kinder sind seit vielen Jahren erwachsen und daher gehört diese Art von Formalitäten für ihn längst der Vergangenheit an. Doch jetzt muss der Blumenhändler aus Erbendorf erneut Nachwuchs anmelden, aber dieses Mal bei der Unteren Naturschutzbehörde. Charly beherbergt nämlich in seiner Blumen-Werkstatt ein Gelbbrustara-Pärchen, das vor kurzem ausgebrütet hat. Da diese Papageienart gemäß Artenschutz anzeige- und kennzeichnungspflichtig ist, müssen auch die Nachkommen registriert werden.

Intelligent und nachtragend

„Die zuständige Dienststelle habe ich bereits informiert und jetzt müssen nur noch die Fußringe bestellt werden.  Wenn dann der zuständige Tierarzt damit im Laden vorbeikommt, kann er die Jungvögel auch gleich beringen“, sagt Charly.  Selbst will er das nicht machen, denn dazu müsste er sie einfangen und dann eine Zeitlang richtig gut festhalten, damit sie während der Prozedur nicht entwischen können. Er weiß aber ganz genau, dass sie das nicht mögen. Und auch, dass sie ihm das lange übel nehmen würden, weil Papageien intelligent sind und außerdem ein sehr gutes Gedächtnis haben. „Deswegen soll das Beringen der Tierarzt übernehmen. Ihn sehen sie wahrscheinlich nur einmal im Leben, ich aber bin hier täglich mit ihnen zusammen!“

Bisher haben sich die beiden Jungvögel noch nicht getraut, die Höhle zu verlassen. Einer von ihnen, der Mutigere, lugt aber bereits hin und wieder nach draußen: Kopf, Hals und Flügel sind schon genauso bunt gefiedert wie bei seinen Eltern, nur die Brust bedeckt noch ein grauer Flaum. Das andere Junge hält sich meist im hinteren Bereich der Bruthöhle auf und lässt sich selten blicken. Es ist mit Jungpapageien auch wie mit kleinen Kindern, so erklärt Charly: manche sind neugierig und mutig, andere wieder eher ängstlich und zurückhaltend.

In der freien Natur suchen sich brutwillige Paare ausgehöhlte Palmen und richten dort in luftiger Höhe ihre Nisthöhle ein. Mit einer Palme konnte Beer natürlich nicht aufwarten. Das Zuhause seiner Papageien befindet sich in der Blumenwerkstatt auf einem Holzzwischenboden in ungefähr zwei Meter Höhe, wo gut sichtbar ein passender Holzkasten mit rundem Loch als Ein- und Ausgang angebracht ist. „Ende Juli haben wir das erste Mal leise Geräusche aus der Bruthöhle gehört. Wir wussten, dass sie brüten, aber sie haben es ja in der Vergangenheit schon einige Male ohne Erfolg versucht. Von daher waren wir ziemlich überrascht“, sagt Beer und mustert dabei wohlwollend seine Schützlinge.

Monogam und fürsorglich

Die Brutdauer von Gelbbrustaras beträgt 27 Tage, wobei das Weibchen alleine brütet, während dieser Zeit aber vom Männchen mit Nahrung versorgt wird. Die Aufzucht dauert dann knapp drei Monate und wird von beiden Elterntieren übernommen. „Nachwuchs zu haben ist für die Papageien megaanstrengend“, erzählt Charly, während er ganz nebenbei einen leuchtend bunten Herbststrauß aus Hortensien, Klematis und Pfefferbeeren bindet. „Die Eltern sind ständig im Einsatz. Daher ist es auch verständlich, dass sie in Einehe leben. Im Normalfall sind sie sich ein Leben lang treu.“ In diesem Moment schlüpft die Mutter durch das Loch der Nisthöhle zu ihren Jungen und man hört kehlige Laute im Wechsel mit sanftem Krächzen. Kein Vergleich zum eindringlichen, lauten und rauen Schreien, dass die erwachsenen Tiere sonst von sich geben. In der freien Natur sind Papageien Schwarmvögel, die gemeinsam Schlaf- und Futterplätze aufsuchen. Nur während der Brutzeit sind sie sozusagen Familienvögel und verteidigen ihr Nest mit Nachdruck. Diesem darf dann selbst Charly nicht zu nahe kommen, sonst wird er mit Schnäbelhieben und heftigem Flügelschlagen in seine Schranken verwiesen. „Sie reagieren so heftig, weil sie nicht handzahm sind. Handzahm sind meistens Aras, die als Einzeltiere gehalten werden und dann nur den Menschen als Bezugsperson haben.“ Hier sei das aber nicht der Fall. In der Werkstatt bilden die drei Papageien eine enge Gemeinschaft und betrachten Charly, seine Kollegin Heidrun und auch die Kunden eher wie Mitbewohner im Dschungel. Und weil sie nicht auf Menschen gepolt sind, sprechen sie auch nicht. „Wobei Gelbbrustaras von Natur aus nicht besonders sprachbegabt sind. Grundsätzlich wären sie aber schon in der Lage einzelne Worte zu sagen“ erklärt Beer.

Eine Partnerbörse für Papageien

Dass die Brut- und Aufzuchtzeit sehr anstrengend ist, sieht man auch am zerrupften Federkleid der Elterntiere. Noch anstrengender wird die Sache allerdings durch die neugierige Tante der Jungvögel. Sie ist die Schwester der Mutter und würde zu gern auch einmal einen Blick auf die Küken werfen. Doch die Elterntiere lassen sie nicht. In Nestnähe wird niemand geduldet. Ausnahmen gibt es nicht. Die Tante möchte das aber nicht akzeptieren und versucht daher regelmäßig, die Familienidylle zu stören. „Wir werden schauen, dass wir demnächst für die Tante einen guten Mann finden“, sagt Charly und lächelt dabei. „Sie ist 15 Jahre alt und im besten Heiratsalter für einen Papagei.“ Doch so einfach ist das dann auch wieder nicht. Papageien kann man nämlich nicht einfach verkuppeln, nein, Papageien müssen sich ineinander verlieben. Für Gelbbrustaras gibt es sogar richtige Partnerbörsen. Dabei werden dreißig bis vierzig dieser Papageien, die noch Single sind in eine große Voliere gesperrt und dann wird abgewartet, welche Paare zusammenfinden.

Gerade hat besagte Tante einen neuen Versuch gestartet und sich der Bruthöhle genähert, was vom Vater der Kleinen mit Federspreizen und einem Drohangriff quittiert wird. Unzufrieden verzieht sie sich daraufhin wieder. Heidrun Steiner hält ihr zum Trost eine Walnuss hin, die sie schnell mit dem Schnabel greift, dann unter Zuhilfenahme der Krallen fachmännisch öffnet und den Inhalt verzehrt.

Angst vorm Fliegen

Es wird noch einige Tage dauern, bis die Kleinen mutig genug sind, ihre Nisthöhle zu verlassen. Zeitgleich werden sie dann aber auch erste Flugversuche unternehmen. Und eben vor diesen Flugübungen hat Charly bereits jetzt ziemlichen Bammel, da in der Werkstatt alle verfügbaren Flächen mit Gefäßen voller bunter Schnittblumen belegt sind. Die spannende Frage ist, wie lange es wohl dauern wird, bis die beiden Jungvögel es schaffen, auch wirklich zuverlässig auf den für sie vorgesehenen Futter- und Sitzplätzen zu landen.

Aber Charly bleibt diesbezüglich gelassen: Noch tragen sie ja den grauen Brustflaum. Wenn sie den Brutraum verlassen, wird man sehen, wie sich die Sache entwickelt. Jetzt steht zuerst mal Allerheiligen ins Haus, was heißt, dass abends in der Werkstatt länger gearbeitet wird, um die Bestellungen termingerecht fertig zu bringen. Erfahrungsgemäß gefällt das aber seinen gefiederten Freunden überhaupt nicht. Die Papageien reagieren auf die in die Nacht reichenden Arbeitszeiten ihrer Mitbewohner ziemlich ungehalten, weil sie schlafen wollen, sobald es draußen finster wird.  Und zwar ohne das störende Licht der Lampen und natürlich auch ohne den Lärm, den Menschen verursachen.

Charlys Bedenken im Hinblick auf den kommenden Feiertag werden jäh unterbrochen von der Papageien-Tante, die gerade flügelschlagend am Futterplatz landet und sich eine weitere Walnuss schnappt.  „Rra-rrah“, krächzt sie, blinzelt kurz und fügt dann in klarstem Hochdeutsch hinzu: „Ehrlich gesagt sind wir heilfroh, wenn der Allerheiligentrubel vorbei ist und in unserer Werkstatt endlich wieder Ruhe einkehrt!“ Also echt, von wegen seine Papageien würden nicht sprechen. Da hat Charly wohl nicht so ganz die Wahrheit gesagt.

Veröffentlichung: „Der neue Tag“/23.10.2019